Endlich Stille...
Seufzend liess Luadril sich in das warme Moos der kleinen Waldlichtung sinken. Heute Morgen hatte es Nachwuchs in ihrer kleinen Gemeinschaft gegeben. Die Menschenfrau war schon schwanger angekommen, geflohen vor einem grausamen Lehnsherren hatte sie durch Zufall die Gruppe gefunden, die sich im grossen Wald eine Zuflucht gesucht hatte.
Sie alle waren auf der Flucht. Manche vor dem Gesetz, manche vor eifersüchtigen Ehemännern und manche... nun, manche auch vor sich selbst.
Als dann das Baby in den frühen Morgenstunden zur Welt kam, hatten sich die meisten entschlossen, ein Geburtstagsfest abzuhalten, den ganzen Tag und bis in die Nacht hinein hatten sie gefeiert, gegessen, getrunken und gesungen. Nun, da der Mond hoch am Himmel stand, brauchte sie endlich Ruhe und Luadril, die junge Halbelfin hatte sich in einem unbeobachtetem Augenblick fortgestohlen, hinein in die Stille des Waldes.
Die Sterne funkelten am Nachthimmel und der Wald wiederum empfing sie mit seinem ganz eigenen Lied. Mit geschlossenen Augen lauschte sie den Geräuschen um sie herum, dem leisen Schlagen der Flügel von Fledermäusen und Kauzen, dem Rascheln der Blätter wenn der Wind sacht durch die Wipfel fuhr und dem entfernten Heulen des Wolfsrudels mit dem sie in zartem Waffenstillstand coexistierten. Die Stimmen der Tiere liessen sie an ihren Herren denken, den einsamen Wolf, Schutzpatron der Einzelgänger, und ohne etwas dagegen tun zu können, schweiften ihre Gedanken ab. Hin zu dem Tag an dem sie ihren Glauben fand und einen schrecklichen Preis dafür zahlte. Hin zu dem Tag, an dem sie ihre Heimat verlor...
***
Es war jetzt ziemlich genau ein Jahr her, zumindest schätze sie das. Die Enklave der Waldelfen in der sie aufgewachsen war hatte lange keinen Grund mehr dazu gehabt sich zu verteidigen. Der Grossteil der Spitzohren war fast leichtsinnig geworden, verliess sich auf den Schutz ihrer Gottheiten. Nur wenige Stimmen erhoben sich zu einem Flüstern der Warnung, viel zu nahe waren sie zumindest einem bekannten Abstieg in das Unterreich, Sshamath war nicht weit, und es war gefährlich die stete Bedrohung durch ihre finsteren Vettern zu vergessen.
Eines Nachts war sie, so wie heute, im Wald unterwegs um die Verbindung mit der Natur zu geniessen, zu meditieren und zu sich selbst zu finden. Ruhe fand sie allerdings nicht, schon seit sie das Dorf verlassen hatte, beschlich sie das Gefühl beobachtet zu werden, manchmal glaubte sie das tappsen von Pfoten zu hören, und das Heulen das in ihrem Verstand kitzelte... War das der Wind?
Plötzlich durchschnitten schrille Stimmen die Stille des Waldes, das klingen von Schwertern mischte sich mit den Schreien von Kämpfenden, und sie hörte deutlich die harschen Klänge, welche dem Deshineth so typisch zu eigen waren. Die jährliche Jagdt der Drow, Entsetzen ergriff ihren Geist als sich mit schrecklicher Klarheit Erkenntnis Bahn brach. Instinktiv sprang sie auf, lief einige Schritte in Richtung ihres Dorfes, die Aussichtslosigkeit des Kampfes verdrängend.
Kaum 50 Meter weit war sie gekommen, als sich ein grosser Wolf vor ihr aufbaute und den Weg versperrte. Sie wollte ausweichen, kämpfen, irgendetwas tun, doch die Augen des Tieres hielten sie gefangen, wie paralysiert verlor sich Luadrils Blick in der Tiefe.
Die Stimme des Tieres erklang in ihrem Geist, beruhigend, eindringlich sprach er zu ihr.
„Hab keine Angst mein Kind. Du kannst sie nicht mehr retten, dein Leben ist zu wertvoll um es zu vergeuden. Ich habe deine Gebete erhört, kann dein Innerstes erblicken. Hör mich an. Die Welt ist ein brutaler und gnadenloser Ort mit kompromisslosen Forderungen an jene, die sich ihren eigenen Weg suchen. Verlasse dich nicht auf den Schutz anderer, denn Verrat dringt leicht in ihre Herzen, sondern setze auf deine eigenen Fähigkeiten und die, die ich dich lehren werde: Tarnung, Täuschung und Heimlichkeit.
Folge dem Pfad des Einsamen Wolfes, denn es ist der Pfad der Eigenständigkeit, und schrecke nicht vor harter Arbeit zurück, sondern finde in ihren Früchten Selbstbestätigung.“So schnell wie er gekommen war verschwand der Wolf, ob er sich in das Unterholz zurückzog, oder sich einfach in Luft auflöste, konnte sie nicht sagen. Es dauerte ein paar Augenblicke bis sich Luadril wieder gefangen hatte und bis sie die Stille um sich herum wahrnahm. Wie lange hatte sie so da gestanden? Minuten? Stunden? Es war gleich, der Überfall war vorbei, keine klagenden Stimmen zeugten von Überlebenden, sie trug alles was sie brauchte am Leib.
So folgte sie den Worten von Fenmarel Mestarine und begann ihre Wanderung.
***
Schluss nun mit den finsteren Gedanken. Der Morgen war nicht mehr fern, die Zeit verflog und ein Gefühl rüttelte an ihren Instinkten, riet ihr das Gebiet zu verlassen, die Jagdt war überfällig. Nocheinmal wollte sie soetwas nicht erleben.
Zurück in der Zuflucht klaubte sie ihre 7 Sachen zusammen, gross geworden war ihr Bündel immer noch nicht, aber wozu auch? Ihre braunen Augen blickten nocheinmal über die schlafende Gruppe und im Geiste wünschte sie ihnen alles Gute und die Stärke zu überleben.
Ein Wanderer der vor kurzem Unterschlupf bei ihnen fand hatte ihr von Niewinter erzählt und von einer Gruppe, die sich dem Kampf gegen die Finsterniss verschrieben hatte. Sie würde diese Gruppe suchen und finden, würde ihre Fähigkeiten trainieren, ihren Körper und Geist stählen, und dabei so viele von den verfluchten Schwarzhäuten zur Hölle schicken wie sie konnte.
Das der Hass auf die Drow längst die Finsterniss in ihre eigene Seele getragen hatte spürte sie nicht. Der Wolf würde es ihr nicht sagen. Wenn sie nicht stark genug war, den Kampf gegen sich selbst zu gewinnen, so war es schade, aber nicht zu ändern.